Die Kimonos meiner Schwiegergroßmutter.

Es gibt in meiner japanischen Familie ein Familienmitglied, dass ich noch nie getroffen habe, und das dennoch immer irgendwie anwesend ist: Die Mutter meines Schwiegervaters. Sie ist vor inzwischen fast dreißig Jahren an Krebs verstorben, aber sie kommt in den Geschichten, die zuhause erzählt werden, immer wieder vor. Zum Totenfest im Sommer ist sie noch einmal präsenter, denn jeden Tag wird für sie mitgekocht. Als wir vor vielen Jahren alte Heimvideos von Videokassetten auf eine Festplatte brachten, war sie plötzlich zu sehen, und die Stimmung im ganzen Raum änderte sich schlagartig. Wenn meine japanische Familie so etwas wie eine Schutzheilige hat, ist es diese Großmutter.

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Muster auf einem Kimono

In den Jahren seit meiner Heirat habe ich natürlich einiges über sie gehört. Dass sie unermüdlich gearbeitet hat, um meinem Schwiegervater den Unibesuch zu ermöglichen. Dass sie selbst kein leichtes Leben hatte. Dass ihr einziges Enkelkind, mein Mann, ihr ganzer Stolz war. Und, dass sie Kimonos schneiderte.

Viele dieser Kimonos wurden weggegeben, doch einige haben wir noch. Meine Schwiegermutter trug einen von ihnen bei unserer Hochzeit in Deutschland. Es sind die schönsten Kimonos aller Zeiten, die meine Schwiegermutter in einer Kiste aufbewahrt. Diese Kiste gehört nun mir, und ich möchte sie nutzen.

Leider war meine Schwiegergroßmutter für japanische Verhältnisse nicht riesig, und selbst meine Schwiegermutter, für die einige der Kimonos genäht wurden, ist zehn Zentimeter kleienr als ich. Kimonos passen sich zwar der Körperfülle an, aber in Sachen Körpergröße muss man gucken. Die erste große Frage war also, ob ich die Kimonos überhaupt tragen können würde.

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Am Samstag gingen wir also zu meinen Schwiegereltern und ich guckte mir zusammen mit meiner Schwiegermutter alle Kimonos und Obis an. Sowohl Kimonos als auch Obis werden in große Papier-Umschläge verpackt verkauft und dann auch gelagert, und bei meiner Schwiegermutter war vieles noch in den originalen Verpackungen. Allein durch die spürt man das Alter des Inhalts. Auf dem Umschlag oben steht „Telefon: Ichikawa (34) Nummer 1515“. Hat heute noch irgendjemand so kurze Telefonnummern? Den Laden gibt es leider nicht mehr. Diese Kimonos stammen höchstwahrscheinlich aus den 70ern und 80ern, als mit Kimonos pro Jahr umgerechnet etwa 13 Milliarde Euro umgesetzt wurden. Heutzutage sind es etwa 2 Milliarde Euro, und die Umsätze fallen weiter.

Das hört sich ziemlich traurig an, ist es auch, aber auch ich werde die Kimono-Industrie nicht hochpäppeln, denn: Sie passen! 🙂 Teilweise sind die Ärmel etwas kurz, das passiert mir auch mit ganz normaler japanischer Kleidung, aber es gibt keine Probleme, über die man nicht hinwegsehen könnte. Man kann die Ärmel wohl auch teils einige Zentimeter verlängern lassen, aber ich habe ein wenig Sorge, ob das dann danach noch gut aussieht.

Drei der Kimonos wurden tatsächlich noch nie getragen, die Fäden, die bei Transport alles fixieren sollen, wurden nie gezogen. Einerseits ist das schade, denn die Kimonos sind alle sehr schön, andererseits ist es für mich natürlich nicht schlecht.

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Ein Obi

Jetzt muss ich nur noch eine Gelegenheit finden, um die schönen Stoffe zu tragen. Mein Mann ist nämlich überzeugt davon, dass sich seine Großmutter sehr freut, dass ich die Kimonos trage – Da will ich sie nicht enttäuschen. 🙂

Vielleicht wird es ja erst einmal dieser hier:

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Er hat zwei Ärmel, ich habe ihn aber für’s Foto etwas gefaltet.

Allerdings werde ich mir wahrscheinlich einen ein wenig unauffälligeren Obi suchen müssen.

Habt ihr solche Erbstücke? Schmuck? Kleidung? Bücher? 🙂

Der erste Traum.

Das neue Jahr ist in Japan wichtig – vor allem die Dinge, die zum ersten Mal geschehen. Da hätten wir den ersten Sonnenaufgang (初日の出), der jedes Jahr zelebriert wird. Oder den ersten Schrein- oder Tempelbesuch (初詣), der so wichtig ist, dass sich lange Schlangen bilden.

Der erste Traum im neuen Jahr wird nicht ganz so ernst genommen, ist aber als Symbol durchaus beliebt. Hier die drei Dinge, die, wenn sie in dieser Reihenfolge geträumt werden, großes Glück bringen:

1. Der Berg Fuji

Der Fuji ist der höchste Berg Japans, und wird als solcher verehrt. Wusstet ihr, dass der Berg von der achten Station bis zur Spitze zu einem Schrein gehört? Mehr zum Fuji könnt ihr hier lesen.

2. Der Falke

Zum Falken gibt es verschiedene Theorien. Die simpelste ist, dass Falken flinke und schlaue Tiere sind, und deswegen Glück bringen. Einer weiteren Theorie zufolge ist es, weil Falken hoch fliegen. Eine andere besagt, dass der legendäre Shogun Tokugawa Ieyasu ein großer Freund der Falknerei war, und was der Shogun mag, muss Glück bringen. 😉

3. Die Aubergine

Die Aubergine ist wahrscheinlich für die meisten Leute ziemlich überraschend. Auch hier wird gesagt, dass Tokugawa Ieyasu möglicherweise einfach Auberginen mochte. Eine wahrscheinlichere Theorie ist, dass Aubergine auf Japanisch genau so klingt wie „etwas erreichen“ – „nasu“ (成す).

Hat einer von euch einen solchen wunderbaren Traum gehabt? 😉 Ich schon mal nicht.

Awa Odori in Kōenji.

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Nachdem ich letzten Monat den okinawanischen Volkstanz Eisa sah, wollte ich diesen Sommer eigentlich noch viele andere Tänze sehen. Aber es kommt, wie es immer kommt, es kam immer wieder etwas dazwischen. Wenn man nur für sich selbst plant, ist es aber auch zu einfach abzusagen.

Letztes Wochenende verabredete ich mich mit einer lieben Arbeitskollegin in Kōenji, einem Ort in Tokyo. Dort findet jedes Jahr das große Awa-Odori-Fest (高円寺阿波踊り) statt zu dem sich fast eine Millionen Besucher begeben.

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Zwischen den Bahnhöfen Koenji und Shin-Koenji tanzen dann gut 100 Tanzvereine den Awa Odori (阿波踊り). Auch dieser ist ein Tanz für das große Totenfest, diesmal aber aus der Präfektur Tokushima (徳島県) auf der japanischen Insel Shikoku (四国).

Als Motiv am eindeutigsten sind wohl die weiblichen Tänzerinnen mit den Schirmförmigen Hüten, den Amigasa (編み笠). Sie tanzen auf japanischen Holzschuhen, Geta (下駄), immer auf den Fußspitzen, so dass man beim Zuschauen fast Angst hat, dass sich die Schnüre von den Schuhen lösen.

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Außerdem gibt es noch die männlichen Tänzer, die etwas bequemere Kleidung tragen, dafür aber noch energetischer tanzen. Dann gibt es noch Frauen, die ähnlicher Kleidung wie die Männer tanzen, und natürlich Musiker. Der Awa Odori ist eine ziemlich laute Angelegenheit, uns taten die Ohren ziemlich weh. Die zahlreich anwesenden Kinder waren auch nicht alle begeistert. 😉

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Wir hatten uns eine Stunde vor Beginn einen Platz ausgesucht, um gute Plätze zu erhaschen. Eine der Strecken führt über eine sehr breite Straße, die andere über eine schmalere. Wir hatten uns für die schmalere entschieden, was sich als gut erwies. Die Fotos sind allesamt in dieser schmalen Straße entstanden, denn es war recht einfach, nah an die Tänzer und Tänzerinnen zu kommen.

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Nach über einer Stunde überlegten wir, dem Tanz von einer anderen Stelle aus zuzusehen – es war so voll, dass wir höchstens die Hände sehen konnten. Zum Glück hatten wir genug gesehen, und es war für uns zu verschmerzen, Koenji den Rücken zuzukehren.

Wenn ihr wissen wollt, wie ein Awa Odori in Bewegung aussieht, hier findet ihr ein Video vom großen Awa Odori in Tokushima.

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Die Tanzvereinigung der Postämter. Wirklich. 🙂

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Auf unserem Weg zum Bahnhof kamen wir an einem Schrein vorbei, an dem ein Sommerfest veranstaltet wurde. Für uns war es dort ein wenig voll, aber die Atmosphäre war sehr schön.

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Ich wurde schon mehrmals gefragt, ob man solche Tanzveranstaltungen und Feste in Tokyo auch im Herbst erleben kann. Nein, Sommerfeste sind für den Sommer, die Tänze sind es auch. Das ist für Besucher zwar schade, für uns gehört es aber eindeutig zum Sommer.

Der ist auch wirklich so schrecklich, dass man diese Feste zum Überleben braucht. 😉

Das Eisa-Festival in Shinjuku.

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An manchen Samstagen muss mein Mann arbeiten, so auch letzte Woche. Ich könnte natürlich bei der Hitze zuhause bleiben, mich keinen Zentimeter von der Couch bewegen, und die Zeit vorbeiziehen lassen.

Oder ich kann in die Stadt fahren, und einer Tanzveranstaltung beiwohnen. 🙂

Am Samstag fand nämlich das 16. jährliche Shinjuku Eisa-Festival (第16回新宿エイサーまつり) statt. Eisa ist ein Volkstanz aus Okinawa, der südlichsten der japanischen Präfekturen. Wie das so irgendwie auf der ganzen Welt ist, haben auch in Japan die wärmeren Präfekturen eindeutig die feurigeren Tänze.

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Beim Eisa wird gesungen, das dreisaitige Sanshin (三線) gespielt, auf verschieden großen Trommeln getrommelt, laut gerufen, gepfiffen, und natürlich getanzt.

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All das ist mehr, als ich jemals in der Sommerhitze tun könnte. Zum Glück wird man ja nicht zum Mittanzen verpflichtet, genau genommen sind die Tokyoter sogar etwas klatschfaul, und so suchte ich mir gute Orte zum Fotografieren und wiegte meinen Oberkörper im Takt der Musik.

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Ganz besonders beeindruckt haben mich die Trommler mit den großen Tommeln. Mit denen im Arm wirbelten sie herum und sprangen in die Luft – wie gesagt, in schrecklichster Hitze, und im Takt. Mir wäre bei der Hitze ja mehrmals der Drumstick aus den Händen geflutscht. In Aktion könnt ihr das ganze übrigens hier mal sehen.

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Nach etwas über einer Stunde wurde es mir zu heiß, und ich fuhr wieder nach Hause. Eigentlich hatte ich vor, den Awa Odori (阿波踊り) in Kagurazaka auch noch zu sehen, aber die Hitze hatte mir ziemlich zu schaffen gemacht.

Trotzdem habe ich mir vorgenommen, dieses Jahr noch ein paar andere Tänze zu sehen, zum Glück gibt es da in Tokyo recht viel. 🙂

Der Vortag des Meeres.

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Am Montag war der Tag des Meeres, 海の日 Umi no Hi. Mein Mann und ich fuhren also am Sonntag ans Meer – man will sich ja nicht am Tag vor der Arbeit zu sehr verausgaben. Glücklicherweise hat Japan viel Meer, tatsächlich ist das ganze Land davon umgeben. Von 47 Präfekturen haben nur acht keine Anbindung ans Meer.

In Chiba, wo wir wohnen, ist man nie weit vom Meer entfernt. Wir wollten aber natürlich nicht irgendwo ans Meer, sondern hatten uns einen Ort ausgesucht: Chōshi (銚子).

Am frühen Morgen fuhren wir los, um kurz nach sieben Uhr am Strand von Byōbugaura (屏風ヶ浦) zu sein. Das Gestein dort wurde von den Wellen so sehr bearbeitet, dass es wie mit einem Messer ausgeschnitten wirkt. Jedes Jahr wurde das Gestein um bis zu einen Meter abgetragen, weswegen man in den sechziger Jahren beschloss, einen schützenden Wall zu bauen. Das funktioniert zwar ganz hervorragend, sieht aber nicht sonderlich schön aus.

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Am Strand sitzend aßen wir belegte Brote und schauten den Leuten zu. Noch waren kaum Besucher dort, aber am Strandhaus war man schon fleißig dabei, Schwimmringe und Schlauchboote aufzupusten. Als Kind und Jugendliche habe ich viele Sommertage am Strand verbracht, ob zuhause am Müggelsee oder bei meiner Großmutter in Halbe, und an Sommertagen kann ich mir noch immer wenig Besseres vorstellen, als Schwimmen zu gehen. Leider hatte ich keine Schwimmsachen dabei.

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In Chōshi wird viel Fisch gefangen, dementsprechend liegen dort viele Fischkutter. Um die Leute fischen zu sehen, waren wir wahrscheinlich am falschen Tag dort, oder bereits zu spät. Eine Gruppe älterer Herren sahen wir, die sich an ihrem Boot zu schaffen machten, aber das war wahrscheinlich mehr Spaß als Arbeit.

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Zehn Minuten vom Strand entfernt steht der Leuchtturm von Inubōsaki (犬吠埼灯台). Vor fast 150 Jahren wurde er, von einem Engländer entworfen, erbaut, und seitdem weist er der Booten und Schiffen den Weg.

Für 200 Yen pro Person kann man die 99 Stufen bis zur Aussichtsplattform hochlaufen – Ein Angebot, das wir natürlich nicht ausschlagen konnten.

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Wieder unten angekommen, sahen wir uns die alte Linse des Leuchtturms an, und saßen ein wenig am Strand. Am Tag des Meeres soll man schließlich das Meer wertschätzen. 🙂

Wir hatten noch ziemlich viel Zeit, bevor wir unseren letzten Programmpunkt begehen können würden, und machten deswegen einen kleinen Abstecher an einen alten Dorfbahnhof.

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Der Bahnhof Tokawa (外川駅) wirkt wie aus der Zeit gefallen. Keine Schranken, wie sie sonst in Bahnhöfen in den Städten Standard sind, nicht viel Verkehr, und ein Wartebereich. Das mag ich an den Dorfbahnhöfen sowieso am liebsten: Da dort nicht alle fünf Minuten eine Bahn hält, und die Zahl der Besucher überschaubar ist, leistet man sich einen Warteraum mit Bänken und Kissen.

Die Zeiten und Fahrkartenpreise sind auf großen Tafeln handschriftlich festgehalten. Ziemlich charmant, doch scheinbar fehlt der Bahngesellschaft in Chōshi tatsächlich das Geld, um die Bahnhöfe zu modernisieren.

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Zum Abschluss dieses sehr schönen Vormittags, und um noch einmal dem Meer zu danken, besuchten wir eine heiße Quelle. Neben mehreren Innenbädern hatte diese auch drei Außenbäder mit hervorragendem Ausblick aufs Meer. 🙂 Falls sich irgendjemand mal in Chōshi wiederfinden sollte: Das Taiyō no Sato (太陽の里) verfügt über ein hervorragendes Bad und einen schönen Pool, auch wenn wir letzteren nicht getestet haben.

Wir hatten auf jeden Fall einen wunderschönen Tag voller Sommerferien-Gefühl. 😀