
Ich lebe meist wirklich gern in Japan. Es ist ein schönes Land, mit netten Leuten, viel Kultur, und dem ganzen anderen Kram, über den ich immer wieder schreibe. Es gibt aber Sachen, die mich fast die Taschen packen und nach Deutschland übersiedeln lassen. Das ist einer der Gründe, warum ich meine deutsche Staatsbürgerschaft nie für die japanische aufgeben würde: So kann ich noch immer fliehen. 😀
1. Das Klima und wie damit umgegangen wird
Japan ist nicht das ganze Jahr über wohltemperiert. Im Sommer wird es unglaublich heiß und schwül, im Winter dann ziemlich kalt. Die Kälte im japanischen Winter wäre gar kein Problem, wenn man Häuser wie in Deutschland hätte – Mit Dämmung, Heizung und anderen exotischen Dingen (Doppelverglasung!).
Es gibt sicher einige verrückte Personen, die sich solche Häuser in Japan haben bauen lassen, aber für uns heißt es: Bei unter 20 und über 28°C muss die Klimaanlage an. Den Sommer über schlafen wir mit der Klimaanlage an, was einfach nur der Tod für die Schleimhäute ist, aber ohne könnten wir gar nicht schlafen. Im Winter will man morgens nicht raus aus dem warmen Bett, weil das gesamte Haus ausgekühlt ist.
Ich erzählte meinem Mann davon, dass wir in Deutschland eine Sommer- und eine Winterdecke haben, und dass die Drei-Decken-Situation wie in Japan (zumindest bei meiner Familie) in Deutschland nicht die Norm ist.
Er: Aber ist euch nicht kalt? Ihr habt doch Minusgrade!
Ich: Wir haben Dämmung und Zentralheizung.
2. Urlaubs- und Krankheitstage
Kennt ihr das, wenn ihr erkältet seid und zuhause bleiben müsst, ihr dafür aber weder einen Urlaubstag abgezogen bekommt, noch ohne Gehalt für den Tag dasteht? Ich nicht, und dabei habe ich nur elf Urlaubstage im Jahr. Das gesetzlich verankerte Minimum sind übrigens 10 Tage für Berufsanfänger im ersten Jahr. Nach 6,5 Jahren bekommt man 20 Tage, danach werden es oft nicht mehr mehr.
Wenn ich endlich meine Festanstellung bekommen würde, hätte ich Anspruch auf Krankheitstage, aber auch nur, weil die Firma das von sich aus anbietet. Im Moment ist jeder Tag, den ich beim Arzt verbringe, entweder ein Urlaubstag oder ein Lohnausfalltag. Kein Wunder, dass sich alle mit ihren Erkältungen auf Arbeit schleppen, wo sie dann sämtliche Mitarbeiter anstecken können.
Japan ist eindeutig kein Land für Arbeitnehmer. Wie das Eltern mit kleinen Kindern schaffen, ist mir ein Rätsel.
3. Apropos Krankheit – die Krankenversicherung
Ich bin über die Firma krankenversichert. Dennoch bezahle ich 30% sämtlicher Behandlungen und Medikamente, denn in Japan will man offensichtlich alle Schwerstkranken in den Ruin treiben. Wenn ich mal wieder ein Problem mit meinem Blinddarm habe, und ein Scan mit Kontrastmittel gemacht wird, kostet mich das schnell 100€.
Alle Amerikaner feiern das japanische System total, weil es ihnen so günstig erscheint, während ich nur zähneknirschend an der Rezeption bezahle. Das Prozedere streckt auch jeden Arztbesuch unnötig, denn schließlich muss nach der Behandlung durchgegeben werden, was gemacht wurde, und dann muss die Rechnung geschrieben werden, bevor man bezahlen kann. Diese Zeit darf man natürlich im Wartezimmer mit anderen Kranken und ihren Bazillen verbringen.
Und bevor ich jetzt in Punkt 4 über die Ärzte meckern muss: Die Ärztehörigkeit ist in Japan noch einmal heftiger als in Deutschland. „Einmal in die Augen gucken und die Diagnose für den Verdauungstrakt stellen“ ist auch nicht ganz unüblich, vor allem wenn man in Kliniken mit alten Ärzten geht, denn junge Ärzte sind in den Krankenhäusern, wo man – Eigenanteil – extra Geld bezahlen muss, wenn man nicht überwiesen wurde. Ist klasse, nur halt nicht.
4. Frauen mögen bitte gebären und gleichzeitig arbeiten und gleichzeitig sich um die Kinder kümmern und gleichzeitig…
Die Bevölkerung Japans schrumpft, ähnlich wie in Deutschland, nur dass keiner darüber schreibt, dass die Deutschen zu wenig Sex haben. Also sollen die japanischen Frauen bitte drei Kinder gebären, um die Bevölkerung nicht allzu sehr schrumpfen zu lassen. Andererseits haben wir aber auch durch die Überalterung zu wenige Arbeitskräfte, die Frauen müssen also in die Büros und arbeiten. Währenddessen, müssen sie sich aber auch um die Kinder kümmern, denn vor allem in Tokyo herrscht Kindergartenplatzknappheit, und wenn man keine feste Arbeit bis nach dem Erziehungsurlaub hat, kann es schwer sein, einen Platz abzustauben. Während die Frauen also in Teilzeit arbeiten und sich gleichzeitig um die Erziehung der Kinder kümmern, müssen sie auch den Haushalt schmeißen, denn viele japanische Männer wollen entweder nichts machen, oder sie arbeiten so lange, dass sie nicht mithelfen können. (Es gibt natürlich auch Frauen, denen der Mann im Haushalt nichts recht machen kann, aber die sind dann selbst schuld.)
In Deutschland ist es viel selbstverständlicher, dass beide den Haushalt machen und dass das gemeinsame Kind gemeinsam großgezogen wird. Hier befinden wir uns in der Hinsicht, und generell in Hinsicht auf Frauen, oft noch ziemlich weit in der Vergangenheit.
5. Es gibt eine Welt außerhalb Japans? Bitte was?!
Es gibt viele sehr bereiste Japaner, die tatsächlich über den eigenen Tellerrand herausgucken können. Meine japanische Familie ist in der Hinsicht recht gut, aber die ganzen eigenartigen Ideen über das Ausland, die ich über die Jahre gehört habe, gehen auf keine Kuhhaut.
Das reicht von
Habt ihr in Deutschland vier Jahreszeiten?
Zu
Englisch ist die offizielle Sprache in Deutschland, oder?
Mit vielen kleinen Stopps in „Wie kommst du auf diese dumme Idee?“-Stadt und „Bitte, flieg einmal für eine Woche nach Europa“-Dorf.
Leider ist es für Japaner nicht ganz so leicht, raus zu kommen. Sie haben wenige Urlaubstage, ins Ausland kann man nur fliegen und das ist teuer, und die meisten Japaner sprechen kaum Englisch. Meine Schwiegermutter war vor Jahren bei einer dieser halsbrecherischen „8 europäische Länder in 10 Tagen“-Touren dabei, und da erlebt man einfach nicht, wie es wirklich in einem anderen Land ist. Wie auch, man wird schließlich lediglich von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten geschleppt, ohne einmal mit einem Einheimischen zu reden oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren oder zum Supermarkt zu gehen.
6. Der herausragende Nagel wird hineingeschlagen
Das ist ein altes japanisches Sprichwort. Leider wird oft alles, was aus der Norm fällt, erst einmal mistrauisch beäugt. Ob das nun eine Frau ist, die zwar verheiratet ist, aber keine Kinder will, oder jemand mit Tattoos, oder eine Schülerin, das keine tiefschwarzen Haare hat. Letzteres klingt erst einmal absurd, aber:
Vor allem die Privatschulen haben hier recht strenge Regeln bezüglich des Aussehens ihrer Schüler, unter anderem dürfen sich die meisten Schüler solcher Schulen ihre Haare nicht färben. Derzeit gibt es einen Skandal, weil eine Schule eine Schülerin ausgeschlossen hat, da sie von der Natur mit dunkelbraunen Haaren ausgestattet wurde, und sie nicht schwarz färben wollte, weil sie eine schlechte Reaktion auf das Färbemittel hatte. Für mich ist es ein Rätsel, wie es rechtlich möglich sein kann, Schülern so etwas vorzuschreiben, und die Schülerin hat ihre Schule verklagt. Einen englischen Artikel über die Situation findet ihr hier.
Mein Mann war auf einer privaten Mittel- und Oberschule. Es gab unglaublich viele Regeln, was sein Leben auch außerhalb der Schule anging. Ich finde, dass man sich in der Oberschule ausprobieren muss. Ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob ich ein Kind in Japan großziehen möchte. Vielleicht wird das bei uns alles anders, aber im Moment bereitet mir das doch Sorgen.
Habt ihr noch andere Dinge, die gegen Japan sprechen? Oder interpretiert ihr Sachen ganz anders als ich?
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