Ich werde zum Klischee.

Morgen Nacht geht der Flug. Eigentlich übermorgen. Claudia packt.

20141031_214258Dieses Mal habe ich natürlich die Schwierigkeit, dass ich quasi zweimal packen muss: Einmal Business-Kleidung für die Messe in Stuttgart, einmal meine normalen Klamotten für drei Tage Berlin. Das resultiert dann darin, dass ich in das Klischee der kofferpackenden Weiblichkeit mutiere:

Ich brauche nämlich neben meinen flachen Schuhen auch meine Stiefel, meine Stiefeletten und meine Pumps. Dringend! Wie soll ich sonst den Berliner Vorwinter überleben? Zum Glück habe ich dafür gar nicht genug Platz im Koffer. Aber ich brauche unbedingt fünf Outfits für drei Tage! Und vielleicht noch meinen anderen Mantel? Soll ja schließlich kalt sein. Apropos „kalt“, Thermounterwäsche! Wo war die nochmal? Brauche ich die? Ja!

Zwangsweise habe ich jetzt übrigens einiges wieder ausgeräumt, schließlich muss ich Omiyage mitbringen, die müssen irgendwo reinpassen. 😉

Nebenbei habe ich übrigens eine Erkältung, was auch den eher langsamen Blogalltag hier erklären sollte. Nächstes Mal vielleicht aus Deutschland, vielleicht auch erst später. 🙂

Vorbereitungen.

Am Montag Abend war ich mit meinem Schwiegervater bei der Firma, für die ich nächste Woche in Stuttgart auf der Messe stehen werde.

Die ganze Sache hatte zwei Ziele: Erstens sollte ich meine Visitenkarten, die Flugbestätigung und sonstige Dokumente erhalten und zweitens wollte man mir etwas über die Produkte, die auf der Messe vorgestellt werden, beibringen.

Nun behaupte ich von mir selbst absolut nicht dumm zu sein, und in Physik war ich sogar gar nicht schlecht, aber wenn mir jemand plötzlich mit physikalischen Gleichungen zu teilweiser Kohärenz daherkommt, macht mein Kopf zu. Ich habe tatsächlich sogar ein Buch zur Optik gekauft (例題で学ぶ光学入門*), musste mir aber eigenstehen, dass ich absolut keinen Plan habe. Da fehlt mir dann doch einiges.

* Hier ein kurzer Einwurf, um zu zeigen, wie wichtig Kanji sind: 光学 und 工学 werden in Hiragana gleich geschrieben (こうがく kôgaku), aber ersteres heißt Optik und letzteres Ingenieurswissenschaften.

Zum Glück war mein Schwiegervater dabei, der mir dabei geholfen hat, herauszufinden, was denn jetzt überhaupt das Besondere an den Produkten ist. Es ist dann doch konkreter zu sagen „Mit diesem System können Sie stromsparendere Lichtquellen als bisher verwenden.“ als irgendjemandem mit σ und NA und weiß ich was zu kommen – zumal ich das selbst nicht verstehe. Solche Dinge kann ich dann gern vor Ort übersetzen, es sind schließlich Leute dabei, die Ahnung haben.

Im Moment bin ich etwas angespannt, ich hoffe, dass sich das gibt, wenn es losgeht. Tut es eigentlich immer. Und immerhin bin ich für vier Tage nicht Claudia, die im Kindergarten Kindern Englisch beibringt, sondern Claudia, die für eine Optik-Firma arbeitet. Ich habe sogar die Visitenkarten um es zu beweisen! 😉

Letztendlich dürfte das Anstrengendste an der ganzen Aktion der Flug nach Deutschland sein: Nachts um eins geht es los und nach elf Stunden komme ich um fünf Uhr morgens in Frankfurt an. Wünscht mir Glück! 🙂

(Eigentlich wollte ich in diesem Eintrag ein Foto meiner tollen Visitenkarten haben, stellte aber fest, dass ich eigentlich alles außer meines Vornamens wegpixeln müsste…)

Japan und ich.

Ursprünglich bin ich nach meinem Fach-Abi im Rahmen eines Working Holidays nach Tokyo gekommen. Ich weiß gar nicht mehr, was genau ich mir damals erhoffte, schließlich war ich davor noch nie in Japan gewesen.

Wahrscheinlich wollte ich hauptsächlich Klamotten kaufen und Japanisch lernen. Mir war tatsächlich aber schon zu diesem Zeitpunkt klar, dass Japan kein rosanes perfektes Land ist. Wirklich. Selbst wenn man in Japan angekommen diesen Illusionen noch ein wenig nachhängt: Wenn man in Tokyo mal abends in der Bahn Leute beobachtet, sollte einem ein Licht aufgehen. Das Gesicht des gewöhnlichen Tokyoters ist nur animiert, wenn er spricht, als würde ganz plötzlich ein Mechanismus losgetreten werden, der die Mundwinkel nach oben zieht. Sobald Stille einkehrt werden die Fäden losgelassen und das Gesicht verwandelt sich wieder in die eiserne Maske der Erschöpfung. Oder es wird mit offenem Mund geschlafen.

Über dieses eine Jahr in Tokyo hat sich natürlich einiges geändert, nicht an Tokyo direkt, sondern an mir. Ich habe mich eingewöhnt. An meinem zweiten Tag in Japan habe ich über das Bahnsystem geschimpft, inzwischen sehe ich zwar immernoch, dass es viel zu teuer ist, aber verfahre mich wenigstens nicht mehr. Selbstverständlich war es nicht immer leicht allein in Japan zu leben, zumal ich anfangs wirklich wenig Japanisch verstand und in einem wirklich guten Monat 120,000Yen (860€) nach Hause gebracht habe, wovon die Hälfte für die Miete draufging. Letztendlich hätte ich nach dem Jahr nicht aktiv darauf hingearbeitet wieder nach Japan zu gehen.

Daran, dass ich zurückgekommen bin, ist mein Mann schuld.

Nun lebe ich schon etwas länger hier, und selbst während der zwei Jahre in Berlin zwischen meinem Working Holiday und meinem erneuten Umzug war ich nicht nur drei Mal im Lande, sondern habe auch via Internet und meinem Mann immer einen virtuellen Fuß im Land gehabt. Wenn ich Japan ganz schrecklich fände, würde ich das hier sicher nicht tun, auch nicht für meinen Mann.

Ich finde Japan auch nicht unlebbar, aber wenn man längere Zeit in einem Land lebt, fängt man an die Unzulänglichkeiten mehr zu sehen, während die ganzen positiven Seiten einem nicht mehr auffallen. Ich wette das ist bei jedem so. Egal wie sehr man irgendwo wohnen wollte, oder wie toll das am Anfang war, mit der Zeit zaubert einem die Stadt nicht mehr jeden Tag ein Lächeln aufs Gesicht. Purikura, Katzencafé, Maidcafé, Hostclub, frisches Sushi im Supermarkt, Maccha Latte bis zum Abwinken – irgendwann juckt es einen nicht mehr.

Wann ich Japan mal wieder richtig zu schätzen lerne? Wenn ich in Deutschland bin. Das klingt vielleicht gemein, aber ich merke erst im Ausland wie unglaublich komfortabel dieser kleine Inselstaat doch ist.

Japan hat tatsächlich viele gute Aspekte:

Es ist sehr sicher in Japan zu leben, vor allem wenn man bedenkt, dass Tokyo* 35 Millionen Einwohner hat. Fünfunddreißig Millionen. Das ist der Grund, warum mein Mann Berlin 都会田舎 (Tokai Inaka; in etwa „Stadtdorf“) nennt. Natürlich geschehen auch hier genügend Verbrechen, aber ich habe noch nie eines beobachtet oder bin Opfer geworden. Dabei bin ich auch schon nachts mit Minirock und angetrunken von Shinjuku nach Ogikubo, wo ich damals wohnte, gelaufen. Keine einzige blöde Anmache.** Wenn wir eine Einkaufstüte in der Bahn vergessen können wir davon ausgehen, dass sie nicht abhanden kommt. Mein Mann vergaß einmal sein Handy in 新潟県 (Niigata-ken, Präfektur Niigata) und bekam es nachgeschickt. Selbst wenn man ein Problem hätte, gäbe es noch immer die netten Herren Polizisten vom Koban.

* Inklusive der Städte, in die es nahtlos übergeht. Tokyo hört nicht plötzlich an der Stadtgrenze auf, es geht nahtlos über in die umliegenden Präfekturen, deren Bewohner oftmals in Tokyo arbeiten. Genau wie wir.

** Der Fairniss halber erwähne ich, dass Freundinnen von mir angegrabscht wurden. Super eklig und so etwas sollte jemandem nirgends passieren müssen.

Generell sind die alle so verdammt nett. Natürlich ist vieles nur Fassade und eigentlich haben auch Japaner manchmal gar keine Lust nett zu sein und würden einen viel lieber wie ein waschechter Berliner anraunzen – sie verkneifen es sich aber einfach. Als ich im März nach fünf Stunden Warten in der Immigrationsbehörde endlich dran kam, entschuldigte sich die Dame, die seit inzwischen zwei Stunden Überstunden schob, bei mir, dass ich so lange warten musste. Was wäre wohl in Berlin passiert? Jegliches Problem wird in einem süßlichen Dunst von „Es tut uns so leid, dass wir Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten, wenn ich irgendetwas anderes für Sie tun kann, schrecken Sie nicht davor zurück es mir mitzuteilen“ erstickt. Dafür ist die japanische Sprache übrigens super. 深くお詫びを申し上げます。Und natürlich ist das nicht ehrlich, aber letztendlich im Alltag angenehmer.

Dinge funktionieren auch einfach. Ich habe persönlich noch nie erlebt, dass der Aufzug in unserem Bahnhof nicht funktioniert hätte. Nicht ein einziges Mal. Er stinkt übrigens auch nicht nach Urin, denn dafür gibt es eine Toilette. Im Bahnhof. Keine Toilettenfrau, die einem für den Besuch 50ct abknöpfen möchte. Genau wie in jedem Einkaufszentrum – Toilette, aber keine Toilettenfrau. Wie das funktioniert? Ich weiß nicht, aber mysteriöserweise sind die Toiletten hier sauberer als in Deutschland.*** Und Mann, ist das nett.

*** Außer sie gehören zur Keisei-Gruppe. Dann beherbergen sie alte japanische Hocktoiletten und einen höllischen Gestank.

Und natürlich, wenn ich plötzlich irrsinning Lust drauf habe, kann ich zum Karaoke gehen und für 2,500Yen (18€) die Nacht durchsingen. Oder im Supermarkt Maccha Latte und 大福 (Daifuku) kaufen. Eben diese ganzen Dinge tun, die jetzt wenig aufregend sind, mir aber unendlich fehlen würden, wenn ich woanders leben würde.

Trotzdem ist Japan nicht mein Lieblingsland. Vielleicht, weil ich gar kein Lieblingsland habe. Vielleicht, weil mich manche Dinge in Japan auch richtig aufregen können. Das ewige Wegschauen, damit man bloß selbst nicht in Unanehmlichkeiten gerät. Der latente Sexismus im Land. Das Totschweigen von Problemen.

Es gibt Tage, in denen ich erst meine Haltung und Meinung aufzeigen möchte und mich dann doch dafür entscheide, die Hände überm Kopf zusammenzuschlagen. Weil Argumentieren manchmal einfach nichts bringt. 仕方ない。(Shikata nai (auch しょーがない Shô ga nai); Kann man nichts machen.) 8900km Entfernung bestehen manchmal einfach auch im Kopf.

Trotzdem, ich bleibe hier. Vielleicht nicht für immer, vielleicht nicht immer super glücklich, aber das ist ja normal. Japan und ich, wir finden uns glaube ich ganz okay.

Abenteuer bei der Botschaft.

20141022_163947Am Dienstag ging ich nach langer Zeit mal wieder zur deutschen Botschaft in 広尾 (Hirô). Der recht einfache Grund war, dass ich endlich meinen im Pass verzeichneten Wohnort ändern wollte, um in Deutschland steuerfrei einkaufen zu können.

Das Konsularreferat der Botschaft hat werktags von 8 bis 11 Uhr und Donnerstags zusätzlich von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Also nicht unbedingt arbeitnehmerfreundliche Uhrzeiten, aber etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. 😉

Ich war zehn Minuten vor Schalteröffnung als zweite dort, legte meine Meldebescheinigung und meinen Pass vor, füllte das Antragsformular an und wartete.

Kennt ihr das, wenn jemand, der nach euch gekommen ist früher gehen kann? Mich ärgert so etwas ja total, zumal ich davon ausging, dass es nicht so lange dauern kann zwei Stempel zu setzen und zwei Worte zu schreiben. Ich weiß natürlich nicht, ob da nicht mehr hinter steckt, aber ich habe 40 Minuten gewartet. VIERZIG!

Fünf Minuten nach 9 ging ich zum Schalter um zu fragen, ob ich den Pass an einem anderen Tag abholen könne, ich müsste schließlich zur Arbeit. Soweit kam ich aber gar nicht, als ich vor dem Schalter stand, gab man mir meinen Pass.

Der Weg zur Arbeit war dann sehr hektisch, weil ich mich durch Menschenmassen zwängen musste um meine jeweiligen Bahnen rechtzeitig zu bekommen. Eine Minute vor Arbeitsbeginn konnte ich dann einstechen. Glück gehabt.

Da habe ich mir das Shoppen in Deutschland eigentlich verdient…

Fast in die Heimat.

In zwei Wochen fliege ich nach Deutschland. Das kommt für mich genauso überraschend, wie für euch, wurde es doch erst gestern entschieden.

Anfang des Monats habe ich für die Firma eines Bekannten meines Schwiegervaters* Übersetzungen angefertigt, einmal ins Deutsche und einmal ins Englische. Die Firma stellt optische Systeme für die verarbeitende Industrie her, und benötigte die Übersetzungen für die Messe Vision in Stuttgart.

* Ja, Vitamin B ist auch in Japan unglaublich wichtig.

Nun stellte die Firma aber fest, dass Übersetzungen zwar schön und gut sind, sie aber eigentlich auch vor Ort jemanden brauchen, der zumindest Deutsch und Japanisch spricht. Und deswegen bin ich in zwei Wochen in Deutschland.

Flüge und Unterkunft werden bezahlt, ein bisschen Taschengeld bekomme ich auch, und ich habe tatsächlich etwa zweieinhalb Tage, die ich in Berlin verbringen kann! 😀 Finanziell lohnt es sich für mich zwar absolut nicht, aber erstens ist es eine super Erfahrung und Referenz für zukünftige Jobs und zweitens wäre ich sonst wahrscheinlich erst in vielen Jahren mal wieder in Deutschland gewesen. 🙂

Derzeit bemühe ich mich, dass mein Wohnort im Pass auf „Japan“ geändert wird, damit ich in Deutschland steuerfrei einkaufen gehen kann, und außerdem muss ich mir zumindest ein wenig Grundwissen zur Optik aneignen… Spaß und Freude. 😉

Es heißt leider, dass ich am 2. November nicht zum Shamisen im Rikugien gehen kann, auch unser geplanter Besuch des Tokyo Disneylands fällt flach, aber gut. Halt nächstes Mal.